Mittwoch, 19. August 2009

Welche Rolle spielt hier eigentlich LINDE?

Man sollte wissen, dass das Kohlenmonoxid, das aus dem Bayerwerk in Dormagen/ Leverkusen per Pipeline nach Krefeld-Uerdingen verfrachtet werden soll, überhaupt nicht von Bayer oder Bayer MaterialScience hergestellt wird. Das giftige Gas kommt aus zwei Steam-Reformern die den "Fremdfirmen" Praxair und Linde gehören und von diesen auch betrieben werden.

Warum aber gibt Bayer/ BMS jetzt den Pipelinebauer?

Wie man auf der Linde Webseite erfahren kann (->) gibt es mit Bayer ein Lieferabkommen über 15 Jahre!!! zur Abnahme der vom Steam-Reformer "erbrüteten" Produkte Wasserstoff und Kohlenmonoxid:

"The construction of the on-site plant, at an overall investment volume of around €60 million, and with a capacity of 7,000 m3/h of carbon monoxide and 18,000 m3/h of hydrogen, is scheduled for completion in fall 2005. The new plant will generate around 20 new jobs on the premises."

Für Linde ist es die zweitgrößte Anlage dieser Art in Deutschland - nach Leuna...

Leuna? Genau, da war doch was:

Mit einer Entscheidung vom 19.3.2003 durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaft wurden 4,5 Millionen EURO (9 Mio. DM) Staatshilfen an Linde genehmigt, um in Leuna eine CO-Produktion mit zu finanzieren (bei einer Gesamtinvestition von 10 Mio. EURO/ 20 Mio. DM). Heute - laut Linde - die größte Anlage dieser Art in Deutschland.

Dieser für Linde positive Bescheid war - mit Hilfe der Bundesregierung - hart erkämpft und nur dank der Tatsache möglich, dass das CO wegen seiner Gefährlichkeit nur vor Ort hergestellt werden dürfte, und damit "weder den Wettbewerb verzerrte noch den Handel beeinträchtigte".

Zitat aus der Entscheidung der EU Kommission: (->)

"(19) Mit Schreiben vom 25. Mai 1999 wies Deutschland darauf hin, dass CO wegen seiner besonderen chemischen Merkmale als Gas an dem Ort seines Verbrauchs hergestellt werden müsse. Daher könne ein solches Erzeugnis den Handel innerhalb der Gemeinschaft nicht beeinträchtigen. Da es keinen CO-Markt nach dem herkömmlichen Verständnis gebe, könne ein Kaufpreis ausschließlich anhand der laufenden Kosten bei den bestehenden Anlagen errechnet werden. ...
(32) Der sachlich relevante Markt ist der Markt für CO, ein giftiges in der Chemieindustrie verwendetes Gas. Da sein Transport teuer und gefährlich ist, muss die Produktion nahe beim Abnehmer gelegen sein.
(33) Der räumlich relevante Markt ist immer ein lokaler Markt, da sich Erzeugung und Verbrauch wegen der Transportkosten und -risiken an demselben Standort befinden müssen."

Mit so einem Bescheid in der Tasche kann Linde natürlich schlecht zwei Jahre später eine CO-Giftgaspipeline im Rheinland in Angriff nehmen, selbst wenn man es wollte.

Aber in einem guten Netzwerk findet sich ja immer einer der aushelfen kann. Und das Netzwerk der chemischen Industrie ist sehr gut, da hier ja alles mit allem zusammenhängt. Und so funktioniert das im Cluster NRW:

Linde braut 7.000 m3/h CO-Giftgas in Dormagen, Bayer/ BMS übernimmt die Planung und notwendige Lobbyarbeit zur politischen Durchsetzung einer CO-Giftgasleitung. Es gilt das Gesetz von der "CO-Produktion nur dort wo es gebraucht wird" auszuhebeln. Die Düsseldorfer Landesregierung macht willig mit, da man dort offenbar glaubt, einen solchen Wahnsinn dem Volk als Industriepolitik zur Arbeitsplatzbeschaffung verkaufen zu können.

So liefert die Landesregierung – ohne Aussprache im Parlament - das notwendige RohrlG, um entgegenstehende Eigentumsrechte bei der Trassennutzung effizienter aushebeln zu können („zum Wohl der Allgemeinheit"). Anschließend darf die Bezirksregierung Düsseldorf diesen "Volkswillen" - CO-Giftgas durch dicht besiedelte Wohngebiete zu fördern – exekutieren. Bayer beauftragt für den Bau der Giftgasleitung WINGAS und die ihre Subs, und am Ende dürfen die Bürgerinitiativen, die sich gegen diesen Cluster-Filz formiert haben, gerne noch ein paar Hinweise zu Bombenblindgängern und Munitionsresten entlang der Trasse geben, um so teilzuhaben an diesem wegweisenden Chemieclusterinfrastrukturprojekt à la NRW.

Damit wird klar deutlich: alle Tricksereien mit Geogrid/ Rohwandstärken/ versäumter Bombensuche/ … bis hin zum potentiellen Supergau, alles sind die BürgerInnen sowieso jetzt schon selbst Schuld: Sie haben es ja nicht anders gewollt und es ist ja sonst keiner da, der irgendeine Verantwortung übernehmen könnte: Volk sagt Regierung, Regierung sagt Bezirksregierung, Bezirksregierung sagt Bayer, Bayer sagt BMS, BMS sagt WINGAS, WINGAS sagt Sub, Sub gibt’s nicht mehr und überhaupt: man weiß ja schon immer, Kohlenmonoxid ist höchst gefährlich und das Volk, sprich das Parlament und seine Regierung, hat es ja nicht anders gewollt.

Und Linde? Wäscht seine Hände in Unschuld. Leitet etwa Linde das Giftgas durch Wohngebiete von 180.000 Rheinländern? Natürlich nicht. Es ist auch nicht Linde’s CO-Giftgasleitung und es werden auch nicht Linde’s Opfer sein wenn etwas schief geht. Linde – die Kompetenz in Sachen Industriegase - produziert CO nur dort wo es gebraucht wird. Was dann ein Linde-Kunde mit dem Kohlenmonoxid anschließend anstellt, ist dann nicht mehr Linde’s Sache, mit das mal klar ist.

Das ist für alle Beteiligten eine klassische Win-win Situation… für fast alle Beteiligten:

Egal was heute, morgen oder übermorgen passiert, selbst wenn die CO-Giftgasleitung unmittelbar neben einer Schule oder einem Kindergarten morgens um 10 Uhr massiv Leck schlägt mit hunderten oder gar tausenden Toten, Schwerverletzten und Verletzten, in diesem chemischen NRW Cluster der Verantwortungslosigkeit wird sich kein einziger Täter fassen lassen.

Linde, Praxair, Bayer, BMS, WINGAS und nicht zu vergessen die IGBCE werden ihr Beileid aussprechen und weiterhin sorgenfrei ihren Schnitt machen, denn für das Risiko sind sie schon jetzt kein Ansprechpartner mehr, das wurde von Anfang an – dank unserer „weitsichtigen“ Landesregierung, oder sollte man besser sagen: dank solider Lobbyarbeit Bayer’s und seiner U-Boote in Parlament und Regierung – sozialisiert.

Wie bereits schon dargestellt: wenn man für das negative Risiko nicht mehr gerade zu stehen braucht, kann das Risiko nicht hoch genug sein -> die Bloos-Regel. oder: so kann auch schon mal gerne eine CO-Giftgasleitung durch eines der am dichtest besiedelten Wohngebiete der Republik verlegt und betrieben werden.


Darum: wer sich jetzt nicht wehrt ist selber Schuld!


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PS: Der Linde Steam-Reformer in Dormagen für 60 Mio. EUR ist offenbar billiger als die CO-Giftgasleitung, die ja teilweise schon auf 90 Mio. EUR taxiert wird (spottbillig auch die Anlage in Leuna mit nur 10 Mio. EUR). Wettbewerb und Marktwirtschaft sieht anders aus als Clusterwirtschaften in der NRW-Chemie.