Diese Art „konzerninterner Wettbewerb“ macht aber vor den Bayer-Werkstoren nicht halt, da er mit größter Brutalität ausgetragen wird. Dass dies keine populistische Übertreibung ist, macht folgende Überlegung schnell deutlich:
man stelle sich nur mal kurz vor, es wäre die Plastikproduktion, die dem Konzern die höchste Rendite brächte und die besten Zukunftsprognosen aufzuzeigen hätte: mit einiger Sicherheit würde selbst die archaische Produktionsmethode, nämlich aus den Giftgasen CO und Phosgen Plastik zu produzieren, zugunsten moderner, also gefahrloser, Methoden, aufgegeben.
Statt 0,2 Mrd. EUR würden jedes Jahr 0,65 Mrd. EUR (jetzt CropScience) oder gar 1,7 Mrd. EUR (jetzt HealthCare) in die Hand genommen, um die Renditen für die Zukunft zu sichern (2008).
Dann würde man in der Konzernspitze wohl kaum eine jederzeit mögliche Giftgaskatastrophe riskieren und sich - wie z.B. in Krefeld – auf stadtweite Sirenenanlagen verlassen, das sehr spezielle Massenkommunikationsmittel aus den dunkelsten Zeiten eines von Größenwahn getriebenen Zeitalters.
Dass Bayer genau so funktioniert, beweist das Handeln des Konzerns auch im Falle Lipobay/ Baycol, dem Cholesterinsenker, in 2001. Da nahm Bayer Lipobay vom Markt: 50 Tote auf sechs Millionen Lipobay-Kunden waren nicht mehr vertretbar. Das entspricht einem Schwellenwert von zwei Toten bei einem Zwischenfall mit CO oder Phosgen in Krefeld (250.000 Einwohner) oder 1,5 Tote bei einem CO-Unfall an der neuen Giftgasleitung hier vor unseren Haustüren (180.000 betroffene Anwohner).
Es wäre somit gerade mal der im CO-Gas erstickte Baggerfahrer, der nach dieser Statistik die „HealthCare“-Schmerzgrenze markierte. Wir wissen: die „MaterialScience“-Schmerzgrenze liegt – mit dem Segen der Landespolitik - deutlich höher. Denn wer mit Sirenen und Überdruck-kammern den Ernstfall eines Pipelinelecks plant, von dem selbst die Feuerwehren sagen, dass er nicht beherrschbar sein wird, hat sich bereits auf ganz andere Szenarien eingestellt.
Bei Lipobay stand die neue Zukunft des Bayer-Konzerns auf dem Spiel und die wird Pharma heißen. Da gibt man in Leverkusen alles, um ein sauberes Image zu pflegen. „Hilfreich“ war sicher auch die rechtlich starke Position geschädigter BürgerInnen in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo in solchen Fällen immer langwierige, für den Beklagten Image schädigende und horrend teure Prozesse und Vergleiche drohen (im Falle Lipobay summieren sich die bisher gezahlten Entschädigungen auf über 1 Mrd. EUR).
Eine Gefahr, die hier am Niederrhein offenbar nicht zu befürchten ist. Da räumt man nach einem „Zwischenfall“ kurz auf und macht weiter wie bisher. Irgendein Schuldiger wird sich schon finden (wir denken beispielsweise an den Zusammenbruch des Stadtarchivs in Köln, da sollen es ja auch die Bauarbeiter Schuld gewesen sein).
Der Regierungspräsident der Bezirksregierung Düsseldorf hat auch schon einen ersten Vorschlag im Falle eines GAUs der CO-Giftgasleitung eingereicht:
es wird der „vorsätzlich“ handelnde Baggerfahrer gewesen sein, der die Leitung „mutwillig“ zerfetzt und dabei leider zu Tode kommt. Wie auch der TÜV bereits feststellte, könnten dabei – je nach Lage des Lecks - hunderte BürgerInnen umkommen oder zeitlebens gesundheitlich gezeichnet werden.
Eine moderne Schadensersatzrechtsprechung, ähnlich der in den USA, würde uns vor all diesem Wahnsinn wohl nachhaltiger schützen. Eine CO-Giftgasleitung durch die Siedlungen Baytown's in Texas gelegt müssen die dortigen Bürger jedenfalls nicht befürchten.
Wenn das nicht alles schon schlimm genug wäre!
Doch der eigentliche Skandal besteht darin, dass unsere Landesregierung das Bayer-Spielchen des „werksinternen Wettbewerbs“ offenbar, ohne den hier notwendigen Sachverstand einzubringen, widerspruchslos mitmacht.
Da wird nicht nur einer völlig veralteten Steinzeittechnologie - aus Giftgasen wie CO und Phosgen Plastik zu mischen - der Weg in das 21ste Jahrhundert geebnet, sondern das Ganze soll auch noch mit Sirenen und Rohrleitungsgesetz weiter zementiert werden. Ein ganzes Landesparlament hat das ohne Aussprache einmal abgenickt: vermeintlich zum Wohle von uns allen…
Damit würde die Landesregierung unser NRW endgültig preisgegeben: als Geisel im „konzerninternen Wettbewerb“ des Bayer-Konzerns, den Zumutungen eines Monopols für ein weiteres Jahrhundert ausgeliefert.
Den betroffenen Bürgern allerdings hat sie damit bisher einen Bärendienst erwiesen. Schon jetzt zahlt NRW einen zu hohen Preis. Doch neben Innovations-, Produktions- und damit Arbeitsplatzverhinderung zahlen wir alle – wenn wir Pech haben - jetzt auch mit unserem Leben!