Dienstag, 28. Oktober 2008

Planergänzungsbeschluss, Gegengutachten Teil 1

Ich riskiere hier zunächst einmal ein Fakten-Update zu meinem Eintrag „Faken…“, unter Berücksichtigung einiger Zahlen des „Gutachten-Profs. Dr. Karl“ (den kennen Sie noch nicht?) seitenlang breit zitiert im jetzt von der Bezirksregierung vorgelegten „Planergänzungsbeschluss für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrfernleitungsanlage zum Transport von gasförmigem Kohlenmonoxid von Köln-Worringen bis nach Krefeld-Uerdingen der Firma Bayer MaterialScience AG (BMS)“

Es geht ja um nichts geringeres als die Zukunft der Polycarbonat- und Polyurethanproduktion in Deutschland…

Zunächst ein Update auf die 2007er Handels- und Produktionsstatistiken für Deutschland, die Eurostat (Statistisches Amt der EU) jetzt vorgelegt hat:

"Polycarbonate in Primärform"

Verkaufte Produktion: 326 Tsd. Tonnen
Importe: 165 Tsd. Tonnen
Export: KEINE

insgesamt verkauft: 491 Tsd. Tonnen in Deutschland

Darüber hinaus werden noch einmal ca. 500-600 Tsd. Tonnen (anhand der Datenhistorie geschätzt) direkt vom jeweiligen Erzeuger weiterverarbeitet.

Wir sprechen also über eine heimische Gesamtproduktionsmenge von ca. 1-1,1 Millionen Tonnen.


"Polyurethane in Primärform"

Verkaufte Produktion: 923 Tsd. Tonnen
Importe: 90 Tsd. Tonnen
Exporte: 300 Tsd. Tonnen

insgesamt verkauft: 713 Tsd. Tonnen in Deutschland

Darüber hinaus werden noch einmal ca. 400 Tsd. Tonnen direkt vom jeweiligen Erzeuger weiterverarbeitet.

Wir sprechen also hier ebenfalls über eine heimische Gesamtproduktionsmenge von ca. 1,1 Millionen Tonnen (Eurostat).

Die Eurostat Daten können also folgendermaßen zusammengefasst werden:

Beim Polycarbonat benötigte der deutsche Markt im Jahr 2007 165 Tsd. Tonnen mehr als er selbst produzieren konnte,

beim Polyurethan wurden 210 Tsd. Tonnen mehr produziert als am deutschen Markt benötigt wurden (ohne Außenhandel). Ca. 30% der verkauften Produktion gingen erfolgreich in den Export.

Anzeichen für Überproduktionen, Konkurrenz- und Kostendruck sind hier weit und breit nicht erkennbar. Es läuft für beide Produktgruppen prima, gut für den Produktionsstandort Deutschland, gut für NRWs Kunststoffsparte.

Zu diesem Ergebnis kommt interessanterweise auch der Planergänzungsbeschluss (S. 26): „Vor dem Hintergrund der weltweit steigenden Nachfrage nach Polyurethan sieht BMS im Anschluss an den im ersten Schritt geplanten Neubau einer MDI-Anlage am Standort Brunsbüttel eine weitere Chance für den Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten von 400 Tsd. t/Jahr“. Allerdings: nur eine 400 Tsd. Tonnen Verlockung, keine Standortentscheidung.

Bayers BMS-Standort Uerdingen brummt derweil:
hier stehen Kapazitäten von 300 Tsd. Tonnen: Polycarbonat 80%/ Polyurethan 20%… seit Jahren ausgelastet. Dennoch: bei einem Verbot der Giftgaspipeline droht Bayer mit dem kurzfristigen „Abzug“ von 30% Polycarbonat, d.h. ca. 70 Tsd. Tonnen weniger… oder 7% des deutschen Jahresbedarfs. Und das auf einem nachfrageseitig leergefegten Inlandsmarkt.

Stattdessen sollen, laut Aussage des Planergänzungsbeschlusses (d.h. Bayer), Bayer Kunden wie Vossloh oder Hella lieber nicht mehr ausreichend beliefert werden? Selbst die konzerneigene Tochter Lanxess muss sich aufgrund dieser Drohkulisse auf Lieferengpässe einstellen?

Noch einmal anders formuliert: Bayer verlagert also ernsthaft lieber 1/3 seiner Polycarbonat Inlandsproduktion ins Ausland, um sie anschließend, wenn überhaupt, wieder zu ihren Kunden nach Deutschland zu importieren? Allein die Transportkosten des fertigen Granulates fressen jeden etwaigen Kostenvorteil einer Auslandsproduktion sofort wieder auf. Und wer glaubt jetzt ernsthaft, dass die so brüskierten Kunden Vossloh oder Hella nicht den Anbieter wechseln, sich einen suchen, der keine Geisel-Spielchen mit ihnen spielt?

Bei 3000 Euro/ Tonne Polycarbonat (2007) riskiert Bayer lieber 210 Millionen Euro Umsatz (=> über 21 Millionen Euro Gewinn) weil ihr ein noch gar nicht realisierter angeblicher Kostenvorteil von 6 Millionen Euro durch eine untersagte Giftgaspipeline entgeht?

Ein solches Szenario ist wohl kaum Ausfluss betriebswirtschaftlicher Rechnung sondern kalt kalkulierte Erpressung der NRW Landespolitik einschließlich ihrer Exekutive, der Bürger des Landes und der eigenen Mitarbeiter.

Man sollte es vor dieser Datenlage darauf ankommen lassen. Die Eigentümer der Bayer AG erledigen dann den jetzt schon überfälligen Rest. Schickt Wenning und Kollegen endlich in die Wüste und versucht in NRW einen ehrlichen Neuanfang.

Mehr zum Planergänzungsbeschluss folgt kurzfristig.