Warum kann man im Landtag Nordrhein-Westfalens eine Mehrheit für ein Enteignungsgesetz „zum Wohle der Allgemeinheit“ bekommen, mit der Konsequenz, dass eine 70 km lange CO-Giftgasleitung des Bayer Konzern längs durch das Rheinland betrieben werden kann?
Würde das auch in anderen Bundesländern klappen? Stadtstaaten zum Beispiel, die ähnlich dicht besiedelt sind?
Also: Berlin, Bremen, Hamburg?
In Flächenstaaten müssten es schon Großstadtregionen sein, durch die eine solche Trasse verlegt werden müsste, mit dem Einverständnis der jeweiligen Landesparlamente: Großräume wie Frankfurt/ Main, München oder Stuttgart…
Mit CO-Giftgaspipelines vergleichbares gibt es dort offenbar nirgends.
Oder: warum war das in NRW überhaupt kein Problem im Landtag die notwendige Zustimmung – zunächst sogar ohne Aussprache und einstimmig – durchzuwinken?
War das Pech, ein Einzelfall also, oder hat das vielleicht Methode, hat das was mit dem Konstrukt Nordrhein-Westfalens zu tun? Ein Art systemimmanentes Politikversagen?
Was immer sich die Briten 1946/47 dabei dachten, das Ruhrgebiet, das Münsterland, Lippe und das nördliche Rheinland zu Nordrhein-Westfalen zu verbinden, es ist und bleibt bis in die heutigen Tage eine willkürliche Ansammlung unterschiedlichster (Stammes) Geschichten, Traditionen, „Heimaten“ und was uns sonst noch alles von den meisten anderen Völker um uns herum unterscheidet.
Sollte es vielleicht auch schwach sein, dieses Nordrhein-Westfalen? Politisch schwach? Mit Sicherheit!
Dieses Gebilde jedenfalls hat nicht viele Gemeinsamkeiten. Keine Geschichte die verbindet, nichts was alle als gemeinsame Heimat empfinden, eher das Gegenteil. Nicht mal die Rheinländer sind sich grün, historisch bedingt: linksrheinisch/ rechtsrheinisch, die Grafen von Berg gegen den Erzbischof von Köln (was sich interessanterweise ja auch im Trassenverlauf der CO-Giftgasleitung widerspiegelt – nur Zufall?). Oder das Ruhrgebiet mit seiner erst kurzen Geschichte, das es ja, wenn man in Generationen denkt, bis vor „kurzem“ noch gar nicht gab, das aber heute mit fast 6 Millionen Einwohnern ca. 30% der Landesbevölkerung ausmacht…
„Wir in Nordrhein-Westfalen“, ein Werbeslogan der das ganze Problem deutlich macht (auch weil es ihn sonst gar nicht gäbe), ein politisch motivierter Versuch, die Geschichtslosigkeit durch ein WIR Gefühl zu ersetzen, Heimat von oben verordnet.
Was hält ein Gebilde wie Nordrhein-Westfalen zusammen, ohne gemeinsame Geschichte und Traditionen, ohne Heimatgefühl?
Denn was interessiert den Münsterländer Abgeordneten wenn in Düsseldorf ein Bier von der Theke fällt, sprich: wenn Bayer eine Giftgaspipeline dort betreiben will? Was interessiert die Abgeordneten aus dem Ruhrgebiet, wenn der Bergbau heute den linken Niederrhein poldert, ohne den Bergbau wären sie doch gar nicht hierher gekommen…
Es interessiert eben nicht so unbedingt, wenn man seine eigene Heimat, und das ist eben nicht NRW, nicht betroffen sieht.
Entsprechend brutal sieht die Landespolitik aus, umgesetzt durch eine für die Bürger undurchsichtige und verwirrende Verwaltungsstruktur, angeführt durch demokratisch kaum legitimierte Bezirksregierungen.
Da wird dann auch schon mal Opferbereitschaft eingefordert: Dein Leben, mein Leben, sterben für Nordrhein-Westfalen, damit es weiter gehen kann, wirtschaftlich, mit Bayer & Co.: global, national, scheißegal…
Heimat ist was anderes, da riskiert man sein Leben jedenfalls nicht freiwillig für Großkonzerne, noch nicht einmal für Arbeitsplätze in Uerdingen: tut mir leid (die Bedrohung, die schon jetzt vom dortigen Bayer Standort ausgeht, ist im Duisburger Süden bereits so akut, dass hier Sirenenanlagen aufgebaut werden sollen… alles für den Sieg im Wirtschaftskrieg!).
Vielleicht sollten wir „Nordrhein-Westfalen“ mal daran erinnern, dass die Briten abgezogen sind!
Diese Landespolitik, die es in unserem Fall dem Bayer Konzern ermöglicht, eine Giftgasleitung durch unsere Heimat zu verlegen und anschließend ad infinitum zu betreiben, verspielt nichts anderes als das kleine bisschen historische Legitimität aus mal 60 Jahren „Nordrhein-Westfalen“.
Wir sollten uns besser trennen, und die neue Gemeinschaft, in der sich Dormagen und Uerdingen anschließend zusammenfindet, soll dann ihr Problem mit Bayer dort lösen wo es hingehört: auf die linke Rheinseite. Das wäre doch mal interessant zu sehen, ob die sich das selbst dann auch antäten.