Um den ungewöhnlichen Plan der Bayer AG, eine 70 km lange CO-Giftgasleitung durch die Städte und Gemeinden im Rheinland zu verlegen, in seiner ganzen Brisanz kurz einzuordnen:
In NRW sollen tausende Menschen entlang dieser Giftgasleitung einem Risiko ausgesetzt werden, wie es bisher nur auf streng überwachten Werksgeländen der Chemie möglich ist. Die gleiche CO-Leitung dürfte dagegen nicht einmal durch ein Wasserschutzgebiet geführt werden. Zu gefährlich fürs Wasser.
Doch der Bayerkonzern, die Landesregierung NRW und die Bezirksregierung Düsseldorf halten das "Restrisiko“ für Leben und Gesundheit für akzeptabel. Sie nehmen die Gesundheitsgefährdung tausender Bürger in Kauf, und entwerten deren Eigentum massenhaft und massiv ohne Entschädigung. Da werden die im Grundgesetz verbrieften Rechte per Gesetz ausgehebelt und "Corporate Governance" verkommt zum Feigenblatt eines asozialen Managements.
Die Ursachen solcher politökonomischen Entgleisungen verortet NRW Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in der "Shareholder-Value-Ideologie", die er in den Konzernetagen gerade auch der Deutschen Global Player am Werke sieht.
Rüttgers kommt in seinem aktuellen Buch "Die Marktwirtschaft muss sozial bleiben" zu dem Ergebnis (S. 46-47): „Das Problem der Shareholder-Value-Ideologie ist ihre Wertevergessenheit. Ihr einziger Maßstab ist Geld. Ihr blinder Fleck ist, kein Gespür mehr für die Wichtigkeit von Werten zu haben.“ Rüttgers nennt solche Auswüchse zu Recht „menschenverachtend“ und „gefährlich“ (S. 48), zitiert als Zeugen u.a. den Papst und Konrad Adenauer , um dann zu fordern: „Entscheidend ist, dass wir unsere Gesellschaft auch menschlicher machen“.
Doch ausgerechnet unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wurde jenes höchst umstrittene Enteignungsgesetz durch den Düsseldorfer Landtag gepeitscht, das dem Bayer Konzern den Bau dieser brisanten Giftgasleitung durch NRW überhaupt erst ermöglicht.
Offensichtlich ein interessanter Fall für die moderne Gehirnforschung - könnte man meinen: was passiert z.B. in der gerade noch so sozial menschelnden Wertewelt eines Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, wenn er plötzlich mit dem Vorstandsvorsitzenden des Bayerkonzerns, Werner Wenning, die Entwicklung des Chemiestandortes NRW vorantreiben darf?
Oder ist das alles schon genau jener neue „Rheinische Kapitalismus“, den Rüttgers als erstrebenswertes Wirtschaftsideal der Sharholder-Value-Ideologie entgegenstellen möchte? Und liegt der Unterschied zum alten "Rheinischen Klüngel" dann darin, dass der sich niemals eine Giftgasleitung durchs dicht besiedelte Rheintal gelegt hätte?
Eine „Politik der CO-Pipeline“ lockt keine gut ausgebildeten Eliten an sondern zerstört den Zusammenhalt einer Wertegemeinschaft und verhindert so gemeinsam gestaltbare Zukunft. Die Menschen entlang der CO-Trasse leben jetzt schon in Angst. Sie würden lieber heute als morgen von dort wegziehen - wenn sie denn nur könnten. Ist das für einen Politiker oder Wirtschaftsführer so schwer zu begreifen?
Und am Ende kommt der nächste Ministerpräsident, der wieder ein Buch schreibt, über die soziale Verantwortung der Marktwirtschaft und die Anglo-Amerikaner mit ihrer so menschenverachtenden Ideologie, die unser Land leider unbewohnbar gemacht hat.
Denn: „The Glory Days Are Now“! Nicht war Herr Ministerpräsident?