Bürgerprotest und Verwaltungsgerichte hatten den Eon Kraftwerksbau in Datteln oder Bayers CO-Giftgasleitung zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen noch gar nicht richtig gestoppt, als Nordrhein-Westfalens unternehmerischer Mittelstand sich - in der großen Mehrzahl sicher unerwartet - auf der Seite der Monopole wieder fand. Aufgestachelt durch Ex-Manger und Lobbyisten, z.B. in der Industrie- und Handelkammer Düsseldorf, die gellend den Untergang des Industriestandortes NRW an die Wand malten.
Handlungsbedarf wurde nicht nur sofort bei der Landesregierung reklamiert sondern eilig schmiedeten Teile einer verwirrten Unternehmerschaft gar "Allianzen", um sich gegen einen Gegner bisher unbekannten Typs zu wappnen: Den Wutbürger. Hierbei handelte es sich um einen Typ von Bürger, der sich zufälligerweise zeitgleich in Stuttgart (Baden-Württemberg!!!), medienwirksam durch Gewalteinsätze der baden-württembergischen Regierung erst richtig in Szene gesetzt, an einem Bahnhofsprojekt „abarbeitete“. Aber hier zu differenzieren war in der hochgejazzten Atmosphäre wohl nicht möglich.
Die Landesregierung - in diesem Fall der Wirtschaftsminister des Landes NRW, Harry Voigtsberger - reagierte jetzt ebenfalls und lud Anfang November zum Dialog ein, um „mit der Landesregierung und Vertretern der gesellschaftlichen Kräfte über eine neue, dialogorientierte Wirtschaftspolitik zu diskutieren“. Oder: Damit so etwas wie z.B. "Bayer's CO-Pipeline" nicht noch einmal vorkommt.
Unter den 230 Teilnehmern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und "Wutbürgern" waren zwar auch einige Vertreter von Eon und aus dem Bayer Konzern vertreten, doch von diesen mutmaßlich am heftigsten durch Wutbürger Betroffenen trat nur Dr. Van Osselaer, Vorstand der Bayer Tochter BMS (Bauherrin der CO-Giftgasleitung ) überhaupt zum "Dialog" an. Und als Dr. Van Osselaer dann auch noch direkt zur CO-Leitung befragt wurde, schien er irritierend unvorbereitet, förmlich überrumpelt: Klar, Bayer habe wohl Fehler gemacht - in der Kommunikation - aber andererseits habe man doch tausende von Flyern verteilt und auf der Webseite sei doch alles prima nachzulesen, was den Bürgern an der CO-Giftgasleitung interessieren könnte (meint er diese Seite? ->). Und natürlich nehme Bayer immer Rücksicht auf die Stakeholder... oder so.
Letztlich konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Mann aus einer ganz anderen Welt kommt, einer Welt in der sich die Shareholder "Gute Nacht" sagen. Bayer gibt sich als das arme Opfer eines bösen Zeitgeistes, den es zu vertreiben gilt.
Und hier wird auch schon das Grundproblem dieses Dialogs deutlich. Ein Gespräch auf Augenhöhe ist mit marktbeherrschenden und global operierenden Großunternehmen wie der Bayer AG wohl kaum möglich. Und das gilt nicht nur für Bürger, sondern auch für Politiker oder bodenständige Unternehmer, die deren Marktmacht häufig als erste zu spüren bekommen. Denn wie die Teilnehmer auf dieser Veranstaltung bereits nach den ersten Gesprächsrunden feststellen konnten, ist auch der Eigentümer-Unternehmer ist in erster Linie Bürger und eben kein heimatloser Manager, dem es nur auf kurzfristige Renditeziele in Leverkusen, Antwerpen oder Shanghai ankommt. Dem es egal ist ob vor den Werkstoren freie Bürger sich in einer Demokratie organisieren können oder ein allmächtiges Einparteiensystem das Volk unter seiner Kontrolle zu halten sucht. Solange der Betrieb nur störungsfrei läuft. Und wenn doch Störungen aus der Welt jenseits der Werkszäune registriert werden, müssen die politisch Verantwortlichen vor Ort in der Lage sein die Störung umgehend abzustellen. Ansonsten lässt man die Lobby mit dem Säbel rasseln und droht mit Abwanderung.
Zum Wohle NRWs könnte dieser Dialog dann vielleicht doch noch gereichen. Zuvor sollten sich aber Wirtschaftskammern und Verbände doch einmal ernsthaft überlegen, ob einige ihre Funktionsträger, insbesondere die Abgesandten aus dem Management der Großkonzerne, tatsächlich für die Interessen ihrer Mitglieder insgesamt eintreten oder diese nur für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren suchen.
Auch die Politik sollte sich nicht länger scheuen einen Bayer-Konzern öfter dezent darauf hinweisen, was es sich die BürgerInnen NRWs kosten lassen, damit Bayer hier überhaupt so erfolgreich funktioniert. Denn alles was Bayer so als Standortvorteil preist z.B. hier ->, Autobahnen, Autobahnanschlüsse, Häfen oder Flughäfen, hat ja irgendeiner mal bezahlt und die werden auch nicht vom Heiligen Geist ausgebaut und in Stand gehalten. Oder die Ausbildung von ständig über 10000 Studenten alleine im Studiengang Chemie, die NRW für Bayer vorhält. Von der staatlich verordneten ordnungspolitischen Blindheit gegenüber einem Kunststoffmonopolisten ganz zu schweigen. Da kann der Bürger schon etwas mehr Sensibilität erwarten: Dass nämlich giftige Gase wie Kohlenmonoxid nicht durch Siedlungsgebiete geführt werden.
Die Opferrolle jedenfalls, in der sich die Bayer AG und ihre Lobbyfreunde auch in diesem Dialog darstellen, ist nicht nur unangebracht sondern schlichtweg lächerlich.
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Nachtrag zum „großen“ Voigtsberger Dialog
„Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an diesem Prozess ist eine Zukunftschance für ein gutes Leben und Fortschritt in Nordrhein-Westfalen“ schrieb Wirtschaftsminister Voigtsberger noch in seiner Einladung zum großen Dialog.
Doch Bürgerinnen und Bürger kamen nur anonymisiert als nicht-repräsentative Umfrage im Balkendiagramm vor, um dann mit „Werkzeugkästen“ von Voigtsbergers’ anerkannten gesellschaftlichen Kräften bearbeitet zu werden.
„Im Dialog“ diskutierten (in verschiedenen Zusammensetzungen), neben dem Minister, der Bürgermeister von Mönchengladbach, Bayer/ BMS Mann Dr. Van Osselaer, ein Vertreter vom RWE, ein Staatssekretär a.D. und je ein Vertreter von DGB und BUND. Für den unternehmerischen Mittelstand trat ein Geschäftsführer der Düsseldorfer Stadtwerke und ein IHK Präsident an. Den intellektuellen Überbau lieferten gleich drei Professoren und eine Professorin. Und die mit der Veranstaltung offenbar beauftragte Firma aus Berlin half mit ihrem Geschäftsführer aus.